Zur Hauptnavigation springen Zum Hauptinhalt springen Zum Footer springen

Ein Start-up mit 130 Jahren Geschichte

(Mareike Köstermeyer, Neue Westfälische, OWL und NRW, 23.07.2025)

Bielefeld. Das klassische Klischee vom Start-up kennt jeder: Meist junge Menschen mit einer im Idealfall zündenden Geschäftsidee sitzen im modernen Co-Workingspace und tüfteln an ihrem Produkt. Sie müssen Sponsoren und Investoren von ihrer Idee überzeugen, damit das Produkt die Marktreife erreicht und zum Erfolg wird. Die Geschichte des Bielefelder Start-ups smart2i ist jedoch eine ganz andere.

„Den Anstoß gab 2018 eine Anfrage der Founders Foundation“, erinnert sich René Pankoke zurück. Er ist nicht nur geschäftsführender Gesellschafter des Start-ups smart2i, sondern auch der geschäftsführende Gesellschafter des Bielefelder Anlagen- und Maschinenbauers Hymmen, dem damals auch die Anfrage der Founders Foundation galt. „Die waren für einen Hackathon auf der Suche nach Sponsoren, und die Gelegenheit haben wir genutzt. Ich war von der Idee begeistert,“ so Pankoke.

Denn die wachsende Bedeutung der Digitalisierung im Anlagenbau beschäftigte auch das Familienunternehmen, das für Möbelhersteller wie Ikea Beschichtungsmaschinen herstellt. „Wir haben uns gefragt, welche Prozesse wir verbessern können, damit unsere Anlagen noch effizienter werden, was wir an Optimierungspotenzial haben und im Rahmen des Hackathons sollten junge Gründer dazu ein Programm mit Geschäftsidee entwickeln.“ Eine langfristige Zusammenarbeit ergab sich daraus nicht, darum fasste Hymmen-Geschäftsführer Pankoke den Entschluss: Dann machen wir es selbst.

Aus einem Kick-off-Work-shop im Familienunternehmen, das vorüber 130 Jahren, 1892, von Pankokes Urgroßvater Theodor Hymmen in Bielefeld gegründet wurde, entstand die Idee von smart2i. Eine Software, die mithilfe von bis zu 25.000 Sensorsignalen sekundengenaue Daten beispielsweise zu Energiewerten, Spannung und Temperatur in einer Maschine, Fertigungsstraße oder ganze Produktionsstandorte sammelt, analysiert sowie grafisch aufbereitet. So werden Optimierungspotenziale einer Maschine sichtbar gemacht. Als Ergebnis kann an vielen Punkten der Produktion Geld gespart und die Qualität gesichert werden. Von Anfang an mit ins Boot geholt hatte Pankoke Viktor Schulz, der bis dahin für die Automatisierung der Hymmen-Anlagen zuständig war. „Ich war von der Idee begeistert und fand es eine spannende Herausforderung“, sagt Schultz rückblickend. Nur einen Monat später war er Leiter des smart2i-Teams inklusive Werkstudent, das die Entwicklung der Software bis zur Marktreife Mitte 2023 vorantrieb. Es ist insbesondere diese Anfangsphase, die die Gründung eines Corporate-Startups, also der Gründung eines Start-ups innerhalb eines Unternehmens, von der Gründung anderer Startups unterscheidet. Zum einen sorgte der Hymmen-Hintergrund dafür, dass für smart2i die meist mühsame Suche nach Sponsoren entfiel, und zum anderen standen von Anfang an echte Daten aus dem Unternehmen zur Entwicklung der Softwarebereit. „Wir haben die Softwaregleich zu Beginn auf unseren Anlagen am Standort in Rödinghausen installiert und hatten damit die Versuchskaninchen direkt im Haus“, sagt Pankoke. Gleichzeitig brachte die Gründung des Startups auch neue Perspektiven in die bestehenden Prozesse bei Hymmen.

Doch die Gründung innerhalb des Unternehmens brachte auch Herausforderungen mit sich. „Zwar mussten wir nicht direkt Personal einstellen, aber für diejenigen, die sich für das Start-up engagiert haben, bedeutete das zeitweise auch eine Doppelbelastung zu ihren laufenden Projekten bei Hymmen“, sagt Schulz, der seit der Ausgründung 2024 technischer Leiter des Startups ist. Auch die Marketing-Abteilung und der Vertrieb von Hymmen arbeiteten zunächst für beide Unternehmen.

Heute übernimmt Benjamin Sadler die Aufgabe des smart2i-Vertriebsleiters. Aus Gründungserfahrungen in der Vergangenheit weiß er die Vorteile der 130-jährigen Unternehmensgeschichte von Hymmen für smart2i ebenfalls zu schätzen. „Als Hymmen-Tochtergesellschaft profitieren wir von den weltweit bestehenden Vertriebskanälen und können sowohl an Messen etablierter Unternehmen teilnehmen als auch an Start-up-Messen wie beispielsweise die Bielefelder Hinterland of Things – also aus beiden Welten das Beste für uns herausholen“, sagt Sadler.

Heute zählt das smart2i-Team zehn Mitarbeiter, doch der Sitz ist weiterhin in der zweiten Etage des Hymmen-Hauptsitzes an der Theodor-Hymmen-Straße. Damit zwischen den Start-up-Mitarbeitern und den rund 210 Hymmen-Beschäftigten kein „Wir“- und „Ihr“-Gefühl entsteht, sei eine offene Kommunikation das Wichtigste, betont Pankoke. Mittelfristig könnte Pankoke sich allerdings auch vorstellen, eine Beteiligung an smart2i zu verkaufen. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Bis dahin wollen die beiden Unternehmen weiter voneinander profitieren.